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Im Interview mit Richard David Precht


Der Philosoph Richard David Precht ist einer der prominentesten Teilnehmer in der öffentlichen Debatte um Massentierhaltung und auch um Tierrechte. Wir haben mit ihm gesprochen: über Clean Meat, das Versagen deutscher Politik, Bad-Trade-Siegel und die Zukunft der Tierrechtsbewegung.

Herr Precht, zwischen Ihren beiden Büchern zum Thema Tierrechte – „Noahs Erbe“ (1997) und „Tiere denken“ (2016) – liegen knapp 20 Jahre. Was hat sich seither geändert?

Es hat sich sehr viel getan. Als ich 1997 „Noahs Erbe“ geschrieben habe, gab es keine 20.000 Veganer in Deutschland. Heute gibt es ca. 800.000 und acht Millionen Vegetarier. Veganismus ist eines der großen Themen unserer Zeit geworden. Wobei man sagen muss, dass das nicht nur aus ethischen Gründen passiert, sondern auch aus diätetischen. Die Menschen machen sich ja auch viel mehr Gedanken über eine zugleich gute als auch gesunde Ernährung. Diese Entwicklung hat also nicht nur eine ethische Dimension.

Sieht nicht der Großteil der Bevölkerung mittlerweile die Tierindustrie mit ganz anderen Augen als noch vor 20 Jahren?

Einerseits hat die Sensibilität gegenüber Massentierhaltung allgemein deutlich zugenommen. Aber andererseits hat zugleich die industrielle Tiernutzung und Tiertötung ein wesentlich größeres Ausmaß erreicht als vor 20 Jahren, bedingt durch die Globalisierung des Fleischmarktes. Und die Folge ist, dass die deutschen „Intensivtierhalter“, wie sie sich selbst nennen, heute in noch viel größeren Zahlen produzieren als vor 20 Jahren.

Eine „Intensivtierhaltung“, über deren „Intensität“ diese Tierhalter selbst trotz der erreichten Größendimensionen kaum öffentlich sprechen…

Es gibt kaum jemanden, der in der Öffentlichkeit Massentierhaltung verteidigt – nicht einmal jene Leute, die sie durchführen. Das ist interessant, denn es gibt ja andere Berufsgruppen, wie z. B. die Jäger, die gerne und mit großem Selbstbewusstsein in die Öffentlichkeit gehen. Wer hingegen immer unglaublich froh ist, wenn nicht über sie geredet wird, sind die Massentierhalter und die Vivisekteure, also diejenigen, die Tierversuche durchführen. Die stellen sich auch lieber meist nicht den öffentlichen Debatten.

Dennoch werden auch Sie mit kritischen Beiträgen auf einschlägige Veranstaltungen eingeladen, wie etwa im vergangenen Jahr auf der MEAT, der Fleischmesse in Frankfurt. Wie stellt sich die Branche dann selbst bei solchen Gelegenheiten dar?

Die Argumente, mit denen die Tierhalter Massentierhaltung verteidigen, lauten immer gleich: Wir haben einen globalisierten Fleischmarkt, und der wird über den Preis entschieden. Solange der Kunde einen günstigen Preis will, funktioniert der Markt so, wie er es tut, und wenn wir da nicht mithalten, sind wir raus aus dem Geschäft. Aber ich fände es gut, wenn die Landwirtschaft in Deutschland raus wäre aus dem Geschäft und ihr Geld in alternative Geschäftsmodelle investierte. Und ich glaube, dass das von alleine passieren wird: aufgrund des technischen Fortschritts. Durch die Möglichkeit, dass man Fleisch nicht in einem Tier, sondern außerhalb eines Tieres produzieren wird.

Sie sprechen von Clean Meat oder auch Cultured Meat, also Fleisch, das „echt“ ist, weil es aus tierischen Zellen gezüchtet wird – aber eben in einer Art „Fleisch-Brauerei“. Diese Zellen können von einem gesunden, lebenden Tier stammen, dem sie schmerzlos in großer Zahl entnommen wurden. Selbst die bislang notwendige Verwendung von „Kälberserum“ als Nährflüssigkeit, das von Kälberembryonen stammen muss, könnte in Bälde überflüssig werden. Aber bislang lehnen viele Menschen solches Kulturfleisch noch ab. Wo sehen Sie, als einer der größten derzeitigen Fürsprecher von Clean Meat, dessen Potenziale?

Derzeit wächst die ohnehin schon weltweit gigantische Nachfrage nach Fleisch durch Länder wie Indien und China. Und wir wissen, dass wir dafür die Flächen zur Futtermittelproduktion gar nicht hätten – dafür müssten wir auch noch den letzten Regenwald roden. Von allen ökologischen Katastrophen unseres Planeten ist, auch durch die Ausscheidung von Methan und durch die Unmengen an Gülle, die ins Grundwasser geht, keine so groß wie die Massentierhaltung. Clean Meat ist also ökologisch der bessere Weg – und natürlich auch im Hinblick auf unseren Umgang mit Tieren.

richard david precht

Sie gehen sogar soweit zu sagen, Clean Meat sei alternativlos?

Ja, angesichts des Klimawandels und des immensen Tierleids müssen wir auf Kulturfleisch setzen. Aber keinesfalls dürfen wir dabei die Probleme dieser Entwicklung vernachlässigen.

Welche Probleme sehen Sie?

Eine Gefahr von Cultured Meat besteht darin, dass in Zukunft eventuell sehr wenige Weltkonzerne ihr Geld damit verdienen könnten. Hinter Kulturfleisch steckt eine hochkomplizierte Technik, die schon jetzt stark vom Silicon Valley subventioniert wird. Und diese Unternehmen werden versuchen – ähnlich wie Google ein Weltmonopol bei Suchmaschinen geschaffen hat –, ein Weltmonopol auf die Herstellung von Cultured Meat zu errichten. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Millionen Menschen in der Fleischwirtschaft ihren Job verlieren, wenn Kulturfleisch günstiger wird als das herkömmliche. Und ich habe bisher noch mit keinem einzigen Menschen gesprochen, der sich über diese Probleme und Lösungsansätze Gedanken macht.

Wie überhaupt in Deutschland das Thema Clean Meat Wirtschaft und Politik noch nicht erreicht zu haben scheint. Warum verschlafen wir hierzulande scheinbar diese Entwicklung?

Weil die Massentierhaltung bislang einfach ein funktionierendes Geschäftsmodell war.

Die deutschen Massentierhalter denken: ‚Endlich haben wir einen guten Platz im Marktgeschehen; 2/3 unserer Produktion verkaufen wir ins Ausland, wir haben unglaublich moderne Massentierhaltungsställe, wir können wahnsinnig viele Tiere auf einmal halten. Und wir haben lange investiert, um so günstig produzieren zu können. Warum sollen wir also jetzt nicht die Früchte unserer Investitionen ernten?’

Wie reagiert denn die Tierindustrie, wenn Sie sie auf Entwicklungen wie Clean Meat hinweisen?

So etwas ist überzeugten Massentierhaltern nicht einfach begreiflich zu machen. Ich versuche, einem Tierhalter dann zu erklären, dass er pleite geht, wenn er das etablierte Geschäftsmodell noch zehn Jahre beibehält. Eine Ausnahme war jedoch das Publikum meines Vortrags auf der MEAT: Fleischproduzenten allesamt, sei es als Metzger oder als Tierhalter. Nach dem Hinweis, dass ihr Geschäftsmodell ausstirbt – und dass sie nicht den gleichen Fehler begehen sollen wie etwa die deutsche Automobilindustrie mit dem Elektroauto –, waren das sehr andächtige Zuhörer.

Ebenso träge scheint aber auch die deutsche Politik im Hinblick auf die Entwicklung von Fleischalternativen oder Kulturfleisch: Man fördert lieber weiter die „klassische“ Massentierhaltung, allen Argumenten zum Trotz. Wie kann das sein?

Die Politik leistet sich dabei sogar noch größere Versäumnisse als die Wirtschaft. Sie müsste eigentlich sagen: Aus ökologischen und ethischen Gründen wollen wir weg von der Massentierhaltung. Doch stattdessen setzt sie auf neue ‚Bauernregeln’, baut Massentierhaltung sogar noch aus. Wesentlich sinnvoller wäre, ein großes staatliches Investitionsprogramm aufzulegen für die Produktion von Kulturfleisch – ähnlich den Subventionen für die Energiewende. Denn es ist doch so: Wenn wir selbst jetzt nicht in Kulturfleisch investieren, werden wir in zehn, vielleicht sogar schon in fünf Jahren Cultured Meat im Supermarktregal finden. Doch dann hat der Hersteller das Patent: also z. B. ein Mega-Konzern wie Google. Diese Entwicklung verschlafen wir vor allem deswegen, weil es kaum ein strukturkonservativeres Ministerium gibt als das Landwirtschaftsministerium. Wer da drin sitzt – meistens CSU-Leute – versteht sich traditionell als reiner Interessenvertreter der Bauern und des Bauernverbandes: betraut mit der Aufgabe, in Brüssel günstige Konditionen für die deutsche Landwirtschaft rauszuhauen. An diesen Stellen sitzt nie ein Visionär, sondern meistens ein Minister, den keiner kennt – und der ist ein reiner Sachverwalter der Gegenwart und Vergangenheit. Und das ist ein großes Problem.

Diese Gegenwart bedeutet in Deutschland, dass jährlich 745 Millionen Tiere allein im Schlachthof sterben, dass es dort zu Fehlbetäubungen kommt, dass die Tiere vorab unter grausamsten Bedingungen leben müssen. Wo sehen Sie die Verantwortung, um dieses Leid in der Tierindustrie endlich zu beenden?

Auch, aber nicht alleine beim Konsumenten. Die Politik macht es sich zu einfach, wenn sie sagt, der Konsument müsse durch seinen Einkauf entscheiden, ob er etwa Massentierhaltung unterstützen möchte oder nicht. Ich denke, man muss politisch nachhelfen, z. B. durch die Einführung eines Bad-Trade-Siegels.

philosoph richard david precht

Als eine Art Schreckens-Pendant zum Fair-Trade-Siegel?

Beim Fair-Trade-Siegel werden ja Bauern in Kooperativen etwa für die Kaffeeherstellung besser entlohnt. Beim Bad-Trade-Siegel würde dann z. B. ein Herkunftshinweis auf dem Schnitzel stehen. Wie bei Zigaretten mit dem Aufdruck „Rauchen tötet“. Ich denke dabei an eine Plakette, die der Produzent auf das Schnitzel kleben muss, mit einem typischen Bild aus der Massentierhaltung – etwa ein aufgeschlitztes Schwein. Darüber muss stehen „Bad Trade“, darunter „Besonders tierverachtend produziert“. Das wäre eine erfolgreiche Kampagne, das Geschäftsmodell wäre tot. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der mündige Bürger sich solche Produkte nicht mehr kaufen würde.

Aber wie Sie vorhin sagten, ist vielen Menschen insbesondere die eigene Gesundheit ein ausschlaggebender Grund…

Diese Kampagne wäre bei der Massentierhaltung trotzdem sogar noch erfolgreicher als bei Zigaretten. Denn Tiere, die gequält werden, tun beinahe jedem Menschen leid. Mehr noch als die eigene Lunge.

Mir gefällt Ihr Gedanke zugegeben auch deswegen so, weil dieses „Plakettieren“ von Tierprodukten ja eine Methode ist, die Tierrechtsorganisationen im Guerilla-Stil seit vielen Jahren durchführen.

Sie wäre aber unbedingt auch als staatliche Initiative angebracht. Nur wird daraus nichts, weil unsere Landwirtschaftsminister immer vor allem eines sind: die Interessenvertreter der Agrarindustrie.

Also müssen weiterhin die Tierrechtsorganisationen die Zustände in der Massentierhaltung aufdecken und die Menschen darüber informieren, für welche Grausamkeiten die Tierindustrie verantwortlich ist. Herr Precht, Sie beschäftigen sich ja schon lange mit Tierethik und der Tierrechtsbewegung. Wie schätzen Sie denn deren weitere Entwicklung ein?

Tatsächlich sehe ich eine Gefahr darin, dass das Thema Tiere wieder in den Hintergrund rücken könnte, weil andere Probleme in der Gesellschaft vordringlicher werden. Tierrechte und die tierethische Bewegung sind an eine Zunahme von Sensibilität gebunden. Und diese wächst vor allem in Friedens- und Wohlstandszeiten. Wenn sich daran etwas ändert, dann werden Tiere sehr schnell in den Hintergrund rücken. Wenn wir etwa durch die ökologischen Folgeschäden unserer Wirtschaft ganz massive gesundheitliche Probleme bekommen, rückt dies in den Fokus und Tiere werden Aufmerksamkeit verlieren – auch wenn das eine mit dem anderen unmittelbar zusammenhängt. Für die Sache der Tiere ist es also wichtig, dass es den Leuten noch lange gut geht und wir in friedlichen Zeiten leben. Sollten wir das hinbekommen und auch schaffen, einen echten ökologischen Wandel in der Wirtschaft zu hinzulegen, dann würde dies alles dazu führen, dass die gesamte Sensibilität gegenüber Tieren und der belebten Natur weiter steigt.

Leistet nicht gerade die Tierrechtsbewegung einen Beitrag, solche Probleme aktiv zu bekämpfen, da sie ja auch immer wieder auf die Umweltfolgen, die Gesundheitsgefahren und die sozialen Missstände hinweist, die aus der Nutztierindustrie resultieren?

Ja! Eine nachhaltigere Form zu leben und eine nachhaltigere Wirtschaft zu betreiben sind schließlich wichtige Bausteine, um Wohl und Frieden zu erhalten. Die Tierrechtsbewegung kann da sehr produktiv an einem gesellschaftlichen Wandel mitarbeiten. Aber um weithin gehört zu werden, sollte sie neben dem ethischen das ökologische Argument noch viel stärker nach außen tragen. Dass Massentierhaltung global gesehen der größte Umweltkiller überhaupt ist, ist schließlich ein starkes Argument – und zudem unabhängig von individueller Empathie und Sensibilität gegenüber Tieren.

Herr Precht, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

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